Leseprobe:
»Und du bist sicher, dass das funktioniert?« Gorns ansonsten eher quäkende Stimme schwebte durch den nächtlichen Garten von Twilas Haus wie der Nachhall einer gewaltigen Glocke.
Catya spähte zu dem Balkon hinauf, hinter dem sie Twilas Schlafzimmer vermutete, und fuhr dabei abwesend mit den Fingern über die Brandblasen auf ihrem Handrücken, die sie sich bei der Anrufung des Gesangszaubers zugezogen hatte. An Tagen wie diesem war sie durchaus der Meinung, dass es manchmal vielleicht besser war, einfach auf Zauberei zu verzichten und bestimmte Probleme sich selbst zu überlassen. Aber Geno und das Gold in den Kellern des Tempels waren leider einhellig anderer Ansicht.
»Klar doch. Ich meine: Hör dich an! Die Götter selbst werden von den Bergen herab steigen, um dich singen zu hören.«
»Tatsächlich?« Gorns Miene verfinsterte sich. »Davon hast du aber nichts erwähnt, als … oh! Das war nur so eine Redensart, stimmt´s?«
»Ja.« Catya seufzte. »Würdest du jetzt bitte endlich anfangen? Der Zauber wirkt nicht ewig.«
»Ich hoffe nur, ihr gefällt das Lied. Hab zwei Tage gebraucht, eines auszusuchen.« Trotz all der geballten Magie gelang es ihm tatsächlich, seiner Stimme einen mürrischen Unterton zu verleihen.
Catya erschauderte bei der Erinnerung an den vergangenen Nachmittag. Gorn hatte darauf bestanden, dass sie sich seine Interpretation von »Rose des Westens« anhörte, bevor er sie an Twila ausprobierte. Noch nie in ihrem Leben hatte Catya ein achtloses »von mir aus« so abgrundtief bereuen müssen. Selbst die Tempelkatzen, die sich ansonsten nicht einmal durch Erdbeben, Feuersbrünste und wütende Dämonen von ihren Schlafplätzen vertreiben ließen, hatten erstaunlich schnell und entschlossen das Weite gesucht.
»Klar. Ist genau das Richtige.«
Wenn der Zauber auch nur halb so gut war, wie die Schriften versprachen, konnte er genauso gut eine Liste seiner Lieblingsspeisen vorlesen. Bei den beiden Schankmädchen der Tempeltaverne hatte es jedenfalls hervorragend funktioniert. Wahrscheinlich hämmerten sie noch immer gegen die Tür der Räucherkammer. Und die Ziegenhirtin, die unterwegs versehentlich seinen Gesangsproben gelauscht hatte, hatten sie mit einem Stock abwimmeln und schließlich in den Fluss schubsen müssen, um sie loszuwerden. Catya war wieder einmal heilfroh, dass der Urheber eines Zaubers immun gegen seine Wirkung war, sonst hätte sie einen noch erheblich mieseren Tag gehabt.
»Los jetzt! Du hast schon genug Zeit vertrödelt.« Sie schubste Gorn in Richtung Balkon und zog sich dann hinter ein dichtes Gebüsch mit wild duftenden Blüten zurück, das zwischen einer Handvoll Weidenbäumen wucherte. »Und denk dran, was ich dir gesagt habe.«
»Jaja, schon gut …«
Gorn begann zu singen. Seine Intonation war mehr als erbärmlich, aber die Magie tat ihren Teil: Catya hätte schwören können, dass selbst einige Blumen und Bäume sich unauffällig in seine Richtung neigten, um ja keine Note zu verpassen. Dieser Teil des Plans hatte also funktioniert. Jetzt musste Twila nur noch lange genug die Stimme hören, um dem Sänger hoffnungslos zu verfallen. Oder zumindest weit genug zu verfallen, damit Gorns Geld Gelegenheit bekam, Twilas Geld davon zu überzeugen, dass man es gemeinsam noch viel kuscheliger haben konnte oder etwas in der Art. Catya war bewusst, dass dies bereits das Äußerste war, das sie erwarten durfte. Wahrscheinlich konnte nicht einmal Rhoki selbst Twila dazu bringen, Gorn wirklich zu lieben, also musste eben ein billiger Trick genügen, eine Verzerrung der Wahrnehmung, die Twila lange genug den Kopf verdrehte, um Gorn in ihr Bett zu lassen. Und selbst, wenn sie ihn noch in der gleichen Nacht mit einem Kissen erstickte, konnte niemand mehr dem Tempel einen Vorwurf machen – so etwas fiel grundsätzlich nicht mehr unter die Garantie.
Kurz vor Ende der zweiten Strophe regte sich dann endlich etwas in Twilas Schlafzimmer. Ein Vorhang raschelte und gelbliches Licht sickerte nach draußen.
Dickfelliges Biest, dachte Catya. Hat jedenfalls einen gesunden Schlaf.
Twila trat mit einer Öllampe in der Hand und von einem seidenen Nachthemd umwölkt auf den Balkon hinaus. Selbst verschlafen und ungekämmt sah sie noch immer verdammt hinreißend aus, wie Catya zugeben musste. Langes elfenbeinfarbenes Haar floss in einer momentan etwas zerzausten Woge um ihre schlanke Gestalt, und ihre makellosen weißen Schultern leuchteten im Mondlicht mit ihren eisgrauen Augen um die Wette. Sie stellte die Lampe auf dem Geländer ab und wandte grazil den Kopf hin und her, um den Urheber des Gesangs ausfindig zu machen.
»Hallo?« flötete sie mit einer Stimme, die keinerlei Magie bedurfte, um wie ein Glöckchen zu klingen. »Ist da jemand?«
Catya hielt den Atem an und betete zu allen Göttern, die ihr auf die Schnelle einfielen. Dummerweise half es nichts, denn es passierte genau das, was eigentlich nicht passieren sollte: Der Gesang verstummte und Gorn trat in den Lichtschein. »Gefällt dir das Lied?« schnaufte er.
»Verdammt, das ist zu früh!« flüsterte Catya und trat gegen einen Stein. »Sing weiter, du Idiot! Verdammt, verdammt, verdammt …«
Twila zog eine Augenbraue nach oben und sah auf Gorn herab wie auf ein interessantes Insekt. »Du?« Diese eine Silbe genügte, um den Zauber endgültig zu brechen. Ihre Augen wurden schmal, die Mundwinkel sanken nach unten: Desinteresse hatte ein neues Gesicht. »Hast du vielleicht zufällig einen Barden oder so was gesehen?« Eiszapfen wuchsen aus jedem Wort. »Er müsste eigentlich ganz in der Nähe sein.«
»Ich habe gesungen!« Gorns Stimme hatte noch immer ihren Glockenklang, aber gegen den Rest von ihm und Twilas massive Skepsis war sie offenbar chancenlos.
»Ach so. Na ja … sehr nett.«
»Nett?« Gorns Enthusiasmus prallte scheppernd vor die unsichtbare Wand, die Twilas Hochmut mit einem einzigen Augenaufschlag quer durch den Garten gezogen hatte. Er sah sich Hilfe suchend zu Catya um. Die schnitt lediglich eine Grimasse, wandte sich achselzuckend ab und begann damit, ihre Stirn gegen einen Baumstamm zu schlagen.
Twila zog unterdessen mit einer abrupten Bewegung das Nachthemd über ihrem beeindruckenden Dekolleté zusammen. »Vielleicht lasse ich dich ja auf meiner Hochzeit singen. Gute Nacht.« Sie wandte sich ohne ein weiteres Wort ab und verschwand wieder in ihrem Zimmer. Der Vorhang fiel zu, das Licht dahinter verlosch, und ein verlegenes Schweigen senkte sich auf den Garten herab. Catya tauchte neben Gorn auf, finster wie ein Rachedämon, und musste sich beherrschen, um ihm nicht einen ordentlichen Klaps auf den Hinterkopf zu verpassen. »Was bei allen Göttern war denn das?«
»Äh … also ich …«
»Was hab ich dir gesagt?«
Gorn verzog seine Miene zu einem Abbild puren Trotzes und verschränkte die Arme vor der Brust. Seine Augen vermieden es geflissentlich, Catyas finsteren Blick zu kreuzen. Er sah aus wie ein schmollender Fünfjähriger. »Dass der Zauber wahrscheinlich eine Weile braucht, bis er wirkt«, brummelte er schließlich.
»Und?«
»…. murmelmurmel …«
»Wie war das?«
»… mich nicht zu früh sehen lassen, um nicht alles kaputt zu machen.«
»Ganz genau. Und jetzt sieh, was du angerichtet hast!«
»Ich? Ich kann doch nichts dafür!« knurrte Gorn. »Dein Zauber …«
»Mit meinem Zauber war alles in Ordnung, Freundchen!« Catya stieß ihm bei jedem Wort unsanft den Zeigefinger gegen die Brust. »Du hättest dich einfach nur an die Anweisungen halten müssen. Jetzt können wir nochmal von vorne anfangen. Schon wieder.« Sie wandte sich von ihrem schmollenden Klienten ab und stapfte wütend auf die Gartenpforte zu.
»Du könntest ruhig etwas netter sein«, maulte Gorn, während er hinter ihr her trottete. »Immerhin bin ich ein zahlender Kunde.«
»Leider. Und der schlimmste, den ich je hatte. So ganz allmählich gehen mir die Ideen aus.«