Leseprobe:
Ein Zimmer wie ein Haifisch. Eine graue, stromlinienförmige Silhouette im Tümpel üblicher Innenarchitektur.
Ernesto hatte sie beide hergebracht, in einem lautlosen Aufzug mit verspiegelten Wänden, hatte sie entführt aus dem Lärm und dem optischen Reizklima des rotbeplüschten, rosenverzierten, goldbeschlagenen Milchglasscheiben-Kindergartens im Erdgeschoss, hinauf an den Ort, wo die großen Jungs spielten. Unten in der Bar hatte das Geld Make-Up aufgelegt, um aller Welt zu zeigen, dass es welches war. Aber hier oben war das Geld gewissermaßen in etwas Bequemeres geschlüpft und gab sich ganz so wie es war. Hier endeten die Spielereien. Hier kroch monochromes Licht über Stahl und schwarzes Leder, räkelte sich zwischen die teuren Möbel und dicken Teppiche und summte eine entspannte kleine Melodie im Rhythmus auflaufender Dividenden.
Coco zog ihre Schuhe aus, fläzte sich der Länge nach auf ein riesiges schwarzes Ledersofa und zündete sich eine Zigarette an, fest davon überzeugt, dass ihr schon irgendjemand einen Aschenbecher reichen würde, sobald es nötig war.
Alex stand vor dem getönten Panoramafenster und starrte auf die Lichter der Stadt hinunter. Ein Teil von ihm war in den letzten Minuten erstaunlich nüchtern geworden, registrierte mit Erstaunen die neue Umgebung und funkte Unbehagen in seine Eingeweide. Unbehagen darüber, dass Cocos Verrücktheiten ihn durchaus in große Schwierigkeiten bringen konnten. Die Aussicht auf einen gutbezahlten Job war natürlich verlockend, aber es bestand durchaus die Möglichkeit, dass ihm eine Menge daran überhaupt nicht gefallen würde, allein schon deshalb, weil Coco mit der Sache zu tun hatte.
Doch diese Gedanken trieben halbherzig unter der öligen Oberfläche aus Schnaps und Müdigkeit dahin. Der Rest von ihm stand einfach nur erschöpft, verwirrt und betrunken am Fenster und starrte auf die Stadt herab, die sich wie ein aufgeplatztes Insekt zu seinen Füßen ausbreitete.
Als er merkte, wie ihm von dem Anblick schwindelig wurde, wandte er sich vom Fenster ab, und sein Blick fand Ernesto, der noch immer neben der Aufzugtür stand, die Hände hinter dem Rücken. Groß, hager und geduldig, umspült vom fließenden, glänzenden Grau seines Anzugs, wirkte er wie eine Gottesanbeterin aus Quecksilber.
»Ernesto?«
»Ja?«
»Verraten Sie mir, was ich hier mache?«
»Der Chef wird gleich persönlich hier sein, um Sie mit den Einzelheiten des Arrangements vertraut zu machen.«
Alex ahnte, dass das alles sein würde, was er als Antwort bekommen würde.
»Und bis dahin«, schaltete sich Coco ein, »könntest du vielleicht einen Drink ranschaffen, el secretario.« Sie hob ihre Füße vom Sofa und betrachtete ihre nachlässig lackierten Fußnägel. »Wodka ohne Eis. Und einen Aschenbecher. Wäre doch schade um den guten Teppich.«
Falls Ernesto dieses Betragen irgendwie missbilligte, so verbarg er es vollkommen hinter einer unbewegten Maske aus Geduld und Dienstbeflissenheit. Statt dessen setzte er sich auf seine seltsam sparsame und gestelzte Art in Bewegung, um Cocos Wünsche zu erfüllen.
Alex wandte sich an Coco: »Weißt du wenigstens, um was es hier geht?«
»Um einen Job«, antwortete sie, noch immer in die Inspektion ihrer Fußnägel vertieft.
»Das sagtest du schon«, erwiderte Alex unwillig, »ein Job für drei Riesen pro Nacht. Wen treffen wir hier?«
»Benedikt. Ein alter Freund meines Vaters. Ihm gehört der Club hier. Und auch noch ‘ne Menge andere Sachen in der Stadt. Hat unglaublich viel Geld.«
Alex trat an sie heran und brachte sein Gesicht in ihr Blickfeld.
»Und wofür gibt er es aus? Was für ein Job ist das?«
Coco betrachtete ihn beinahe amüsiert und schnippte Asche in ein völlig geschmackloses fischförmiges Dingsbums aus Silber, das Ernesto in diesem Augenblick unter ihre Zigarette hielt, während sie mit der anderen Hand den Drink entgegennahm, den er ihr reichte. »Ich hab keine Ahnung«, erklärte sie leichthin, »Ernesto sagte nur, Benedikt sucht junge Männer für einen…na ja…etwas speziellen Job…«
Alex schnaubte wütend. »Spezieller Job?! In was ziehst du mich da rein? Du glaubst doch nicht im Ernst, dass ich irgendwelche Schweinereien mit so ‘nem alten Zausel aus deinem Golfclub veranstalte.«
»Beruhig dich«, ermahnte ihn Coco. »So einer ist er nicht.«
»Was ist er dann für einer?«
»Warum wartest du nicht einfach ab und findest es raus?«
Alex war verärgert. Es war ziemlich offensichtlich, dass jeder im Raum mehr wusste als er.
In diesem Augenblick öffnete sich eine Tür und Benedikt rollte herein. Das feindselige Summen eines elektrischen Rollstuhls trug ihn in die Mitte des Zimmers. Er war offensichtlich uralt und zerfressen von zahllosen Krankheiten. Gelbe Triefaugen, die über eine Adlernase hinweg aus einem Gewirr knochiger Gesichtszüge herauslugten. Ein Paar spinnenartiger Hände ruhte bleich auf dem schwarzen Kunststoff der Armlehnen, der Rest seines Körpers war unter Stoff und dicken Decken verborgen. Alles an ihm wirkte praktisch scheintot, als würde er die Nächte in einer Nährlösung verbringen. Doch irgend etwas an dem alten Mann wirkte trotz allem noch immer mächtig und gefährlich, zum Sprung bereit. Eine subtile Aura von Potenz, die jenseits des Körperlichen lag. Vielleicht war es aber auch nur die simple Tatsache, dass man verdammt reich sein musste, um trotz seines Zustandes noch am Leben zu sein.
Seine kleinen, dunklen Pupillen glitten scheinbar teilnahmslos über die Szenerie und blieben an Coco hängen.
»Corinna. Mädchen.« Seine Stimme war genauso trocken und papierartig wie sein Äußeres.
»Hallo Benedikt.« Coco setzte sich auf und schlug auf höchst obszöne Weise die Beine übereinander.
Benedikt hüstelte. »Du wirst von Tag zu Tag verdorbener, stelle ich fest. Dein Vater hätte dich hin und wieder mal ordentlich übers Knie legen sollen.«
Coco grinste breit. »Das hat er getan. Und anschließend hat er mich gefickt, der fiese alte Bastard.« Sie zog an ihrer Zigarette, spreizte ihre Schenkel und ließ sich in die kühle Schwärze des Sofas zurücksinken. »Und ich verwette mein süßes kleines Fötzchen darauf, dass er dir die Videos gezeigt hat.«
Die Totenmaske von Benedikts Gesicht verzerrte sich in der Andeutung eines Lächelns. »Weiß deine Mutter, dass sie eine Psychopathin zur Welt gebracht hat?«
»Meine Mutter weiß die meiste Zeit noch nicht mal, auf welchem Planeten sie sich befindet.«
»Glück für sie.« Benedikts runzliger Kopf ruckte unmerklich in Alex’ Richtung. »Ist das der neue Kandidat?«
»Alex«, erwiderte Coco in ihr Wodkaglas hinein, »ein guter Freund von mir und im Moment etwas knapp bei Kasse.«
Alex spürte, wie Benedikts trüber Blick prüfend an ihm auf und ab glitt, und für einen Augenblick kam er sich vor wie auf dem Sklavenmarkt, Objekt in einem Handel, dessen Regeln ihm niemand erklärt hatte. Als das Unbehagen zu groß wurde und er den trägen, taxierenden Blick des Greises einfach nicht mehr ertragen konnte, wandte er sich hilfesuchend an Coco.
»Coco, was …«
Sie legte mahnend einen Zeigefinger an die Lippen.
»Einen Versuch ist es wert«, hörte er den Alten sagen. Und dann: »Sieh mich an, Junge!«
Alex gehorchte fast automatisch. Benedikts Stimme mochte alt und brüchig sein, doch noch immer schwang in jeder Silbe das Selbstvertrauen und die Arroganz eines Mannes mit, der mindestens fünfzig Jahre Erfahrung darin hatte, Menschen Befehle zu erteilen. »Möchtest du gerne in einer halben Stunde dreitausend Euro verdienen, Junge?« fragte Benedikt.
Alex nickte vorsichtig. Nur ein Idiot hätte nein gesagt.
Das spitze, verwachsene Kinn des Alten zuckte selbstgefällig auf und ab. »Natürlich möchtest du. Und gerade jetzt, exakt in diesem Augenblick, fragst du dich, was zum Teufel du für so viel Geld wohl tun sollst.« Der faltige Mund spaltete sich zu einem Grinsen und entblößte dabei zwei Reihen perfekter künstlicher Zähne, die inmitten dieser ungesunden Fratze vollkommen deplaziert wirkten.
Alex räusperte sich, darum bemüht halbwegs cool zu wirken. »Also … ich werde niemanden umbringen oder so.«
Benedikt lachte. Ein kaltes, kratzendes Geräusch, als schabe jemand mit einem Spaten die Überreste eines überfahrenen Eichhörnchens von winterlichem Asphalt. »Ich finde es verdammt amüsant, wie viele Leute immer noch glauben, der Tod sei das Schlimmste, was man einem Menschen antun könnte.«